Entrastern - Druckraster entfernen
Die Darstellung von farbigen Bildern war seit Beginn ein großes Thema im Buchdruck. Im neunzehnten Jahrhundert suchte man nach Verfahren, die sich in den damals schon sehr fortgeschrittenen Druckprozess integrieren ließen. Das große Problem war die Darstellung von Halbtönen. Die ersten Rasterverfahren wurden entwickelt, z.B. die Autotypie und die Chromotypie. Die Endung "-typie" weist auf das Hochdruckverfahren hin. Meistens handelte es sich um Zinkplattenhochdruck bei dem mindestens die Konturenplatte hochgeätzt wurde. Die Farbplatten konnten anfänglich aus Holz oder anderen Materialien bestehen. Um Schattierungen oder Farbmischtöne zu erzielen, benutzte man Platten, deren Oberfläche strukturiert war (Strich-, Korn-, oder Rasterätzungen), und die kombiniert und übereinander gedruckt wurden. Um Buntdrucke herzustellen druckte man, wie in unserem Raster-Beispiel hier, die Grundfarben Blau, Rot und Gelb übereinander. Hier ein stark vergrößerter Ausschnitt aus einer Illustration aus dem Jahre 1896 mit einer Rasterung, die uns heute unkonventionell anmutet:
Rastert man ein bereits gerastertes Bild zum zweiten Mal, werden unweigerlich Moiré-Strukturen entstehen. Das darf natürlich nicht passieren. Vor der zweiten Rasterung muss also das erste Raster aus dem Bild entfernt werden. Ich arbeite mit Photoshop in der Version CS6 und für die Entrastung käme höchstens eines der Weichzeichnungsfilter in Frage. Mathematisch gesehen beruhen diese Filter alle auf einer Faltung der Bildinformation mit einer Glättungsfunktion - im Fall des Gaussischen Weichzeichners mit einer Gaussfunktion. Im Werkzeug "Sonstige Filter" > "Eigener Filter" könnte man sich sogar selbst eine einfache Glättungsfunktion definieren. Die Einstellungsmöglichkeiten sind aber so stark eingeschränkt, dass auch damit keine Entrasterung erreicht werden kann (Photoshop ist ja kein Mathematikprogramm). Mit den Photoshop-Bordwerkzeugen wird mit dem Raster unweigerlich auch die Bildinformation angetastet. Bildinformation die weg gerechnet wurde, kann auch mit einem Schärfungswerkzeug nicht wieder hergestellt werden! Eine "Raster-weg"-Glättungsfunktion für die Faltungsroutinen in Photoshop ließe sich wohl konstruieren. Die Anwendung des entsprechenden Werkzeugs würde aber einiges an Einstellungen und Erklärungen erfordern. Vermutlich haben sich die Produktmanager deswegen dagegen ausgesprochen.
Betrachtet man die mathematische Struktur des Problems (Raster = Periodische Struktur) näher, so kommt man zum Schluss, dass es weniger aufwendig ist, in der Frequenzebene/Spektrum die störenden Rasterstrukturen selektiv rauszurechnen, d.h. zu filtern, als durch eine Faltung mit angepasstem Kern, der erst noch konstruiert werden muss. Für die Filterung muss das Bild mittels einer Fouriertransformation (siehe z.B. hier) umgewandelt werden. In Photoshop gibt es dafür leider auch kein Werkzeug. Also startete ich mein Matlab, um eine entsprechende Filterroutine zu erstellen. Das würde eine eigene Stand-Alone-Lösung werden müssen, denn ich verstehe zu wenig vom Photoshop-Interface, um darin ein externes Programm zu integrieren. Andererseits, - es konnte doch nicht sein, dass ich der erste Mensch bin, der mit Photoshop ein Bild entrasten, bzw. fourierfiltern will! Ich begann zu suchen und nach einer guten Weile wurde ich auf einer norwegischen Seite fündig. Dort fand ich genau was ich suchte: Eine Photoshop-Action, die via Fourierfilterung das Raster eliminieren kann. Die "Pattern Suppressor Action" ist gut dokumentiert, auch mit einem instruktiven Video.
Im Wesentlichen funktioniert das Programm so: Nach dem Satz von Fourier kann jede (periodische) Funktion (Bildinformation) durch eine Reihe von Sinus- und Cosinus-Funktionen (kann man sich als Gitterlinienmuster vorstellen) dargestellt werden. (N.B.: Unser Bild ist ja nicht "periodisch", es liegt nur einmal vor. Das stellt aber in der Praxis kein wesentliches Hindernis dar. Die Action trickt es elegant aus.) In einem ersten Schritt wird demnach die vorliegende Bildinformation in die Frequenz- bzw. Spektralebene transformiert. (Dabei geht keine Information verloren. Sie wird nur anders dargestellt!) In der Spektral-Ebene wird jeder Bildfrequenz (Gitterlinienmuster) ein Punkt zugeordnet. In der Mitte des Koordinatensystems sitzt die "Nullfrequenz", das ist die gleichmäßige Grundhelligkeit des Bildes. Ein Punkt in der Frequenzebene stellt im Bildraum ein Gittermuster dar; je weiter außen, desto feiner ist das Gittermuster, und die Lage in der Frequenzebene definiert den Winkel, in dem die Gitterlinien im Bild liegen, wobei die Richtung durch die Senkrechte auf die Gitterlinien definiert wird.
Die Rasterpunkte im obigen Bild sind quadratisch. Man kann sich also das Grundraster aus zwei überlagerten, gekreuzten Gittermustern vorstellen, natürlich nach Farben getrennt. In der Spektralebene wird also ein Raster durch zwei Punkte repräsentiert. Wenn das Raster, wie in unserem Beispiel, parallel zu den Bildseiten ausgerichtet ist, so werden die zugeordneten Spektrumspunkte auf den Frequenzachsen liegen. Der Abstand zum Zentrum ist ein Maß für die "Wellenlänge" des Rasters. Da die Rasterpunkte scharfe Kanten aufweisen, tauchen in den Spektren "Obertöne" auf, d.h. Ketten zusätzlicher, starker, weiter außen liegender Punkte. Wo liegt nun aber die Information, die dem eigentlichen Bild entspricht?
Die Bildinformation ohne Raster gesellt sich um die Nullfrequenz herum. Aber wie weit um den Nullpunkt herum finden wir noch relevante Bildinformation in der Spektralebene?
>>> Achtung an dieser Stelle führt die Videoanleitung der Pattern-Suppression-Action in die Irre, weil die Autoren das Nyquist-Shannon-Abtasttheorem nicht berücksichtigen.
In der Tat, im Sinne dieses Theorems tastet das Raster die Bildinformation ab, es stellt also eine Abtastfunktion dar. Dem Abtast-Theorem (Sampling-Theorem) zufolge sollte das gerasterte Bild keine höheren Frequenzen als die halbe Rasterfrequenz enthalten! In der Spektralebene liegt daher alle relevante Bildinformation in einem Kreis mit Zentrum im Nullpunkt und einem Radius, der dem halben Abstand des nahegelegensten Rasterpeak zum Nullpunkt entspricht. Wie übersetzen wir nun dies in das Pattern-Suppression-Werkzeug?
Also, nachdem Punkt 1 der Aktion gestartet wurde, wird im Hintergrund das Bild fouriertransformiert, und nach einer kleinen Wartezeit erscheint im Fenster das maskierte Spektrum des Bildes. In unserem Beispiel so:
Dargestellt ist die eigentliche Ebene mit dem Spektrum, wobei darüber eine unstrukturierte, homogene, halbdurchsichtig-graue Maskenebene liegt.
Randnotiz: In obenstehendem Bild ist nur die linke Seite mit den Punkten relevant. Diese stellt die rechte Halbebene des Bildspektrums dar. Die eigentlich dazugehörige linke Halbebene des Bildspektrums besteht aus mathematischen Gründen aus dem Spiegelbild (genau genommen dem konjugiert komplexen Spiegelbild) der rechten und wurde in den Color-Teilen der Action weggelassen. Aber im Grayscale-Teil der Action wird jedoch die ganze Spektralebene dargestellt - weiß nicht warum.
Randnotiz zur Mathematik: Die Information eines Bildes steckt in der Pixelmatrix, deren Elemente ganzzahlig sind und zwischen 0 und 255 (8-Bit-Bild), bzw. 0 und 65.535 (16-Bit-Bild) liegen können. Die Bildinformation kann also als eine reellwertig positive Funktion aufgefasst werden. Gegeben durch die Transformationsoperation werden die Punkte in der Spektralebene komplexwertig. Die Spektralebene besteht also anschaulich gesprochen aus zwei, miteinander verknüpften Ebenen, einer mit dem Realteil der Spektralkomponenten und die andere mit dem Imaginärteil. Diese zwei Ebenen können auch umgewandelt werden in eine Ebene mit dem Betrag und eine Ebene mit der Phase der jeweiligen Spektralkomponente. Oben dargestellt ist die Betragsebene des Spektrums. Die Phasenebene wurde wohl "aus pädagogischen Gründen" versteckt. Warum nur die Hälfte der Spektralebene? Wie gerade erwähnt, wird aus einer reellwertigen Bildmatrix eine komplexwertige Spektralmatrix. Anschaulich gesprochen verdoppeln sich damit die numerischen Einträge in der der Bildmatrix zugeordneten Spektralmatrix. Durch die Fouriertransformation kann sich aber die Bildinformation nicht verdoppelt haben! Woher soll diese Information auch gekommen sein. - Das bedeutet, dass in der Spektralebene die Information eine Redundanz aufweisen muss. In der Tat: Die Spektrumsamplituden mit negativer Frequenz sind komplex-konjugiert zu den Amplituden mit positiver Frequenz. Die positiven und die negativen Frequenzebenen weisen also eine gemeinsame Symmetrie auf. Die positiven Frequenz-Halbebenen tragen demzufolge bereits die ganze Bildinformation. Aus diesem Grund wird in der Action für Farbbilder nur die halbe Spektralebene gezeigt. Warum aber bei der Action für S/W-Bilder die ganze Frequenzebene gezeigt wird, ist mir nicht bekannt. Ich halte das eigentlich für nachteilig, denn der Anwender der Action kann dann mit dem Pinsel in beiden Halbebenen unkoordiniert herummalen und dabei die Symmetriebedingung verletzen. Das muss aber unweigerlich bei der Rücktransformation zu unerwarteten Artefakten führen, was im Erklärvideo der Action auch prompt passiert!
Wie erwähnt, bestehen Bilddaten aus natürlichen Zahlen plus Null, "Integers" im Datenjargon. Das bedeutet, dass bezogen auf die Fouriertransformation noch mehr Redundanzen vorhanden sind, die numerisch nutzbar gemacht werden können.
Gemäß Anleitungsvideo sollen wir nun in der Maskenebene mit einem Pinsel diejenigen Bereiche frei pinseln, die im nächsten Schritt der Action die Frequenzinformation für die Rücktransformation in den Bildraum freigeben. Statt jedoch wie in der Anleitung mit irgend einem Pinsel in der Maske herumzumalen, stellen wir die Pinselgröße nach den Kriterien des Abtasttheorems ein: Wir stellen den Radius des Pinsels so ein, dass er höchstens der halben Distanz des Zentrums zum nächstgelegenen, prominenten (hier blauen) Fleck entspricht (vgl. Bild oben, weißer Kreis). Wichtig ist, dass wir den so gewählten Pinsel-Kreis auf ein Pixel genau in den Nullpunkt zentrieren (zum Zielen Bild auf 100% vergrößern) und erst jetzt einmal Klicken - das wars. Liegt das Zentrum nicht im Nullpunkt, holen wir uns Artefakte ins Bild (das sagt uns die Mathematik; die Symmetrie muss gewahrt werden!). Damit haben wir ein rundes Loch aus der Maske geschnitten, und darin sehen wir nun in Weiß die Information, die im nächsten Schritt zum Bildaufbau verwendet wird. Nun rufen wir den Punkt 2 (Apply Suppression) und danach Punkt 3 der Action auf. Wenn jetzt immer noch Raster sichtbar ist, so haben wir den Kreisradius zu groß gewählt. Das ist kein Drama. Wir beginnen einfach wieder von vorne mit kleinerem Radius. Wenn wir alles richtig gemacht haben, dann erhalten wir ein Resultat, das aus mathematischer Sicht nicht besser sein kann. Vergrößert sieht nun obiger Bildausschnitt so aus:
Wir sehen, das Raster wurde aus den farbigen Flächen unterdrückt, ohne die Bildinformation weichzuzeichnen. Es besteht nun keine Gefahr mehr, dass später im Druck Moiré-Muster entstehen. Und wie gesagt, die Mathematik versichert uns, dass es nicht besser geht. Mehr Information steckte nicht im Bild.
Soweit der "gesunde" Arbeitsablauf für die Bildentrasterung. Das dargestellte historische Beispiel weist eine interessante Besonderheit auf, auf die ich hier noch hinweisen möchte.
Das Bild stammt aus einem 1896 erschienenen Bilderbuch über das Leben der damals immer noch verehrten Königin Luise von Preußen -- Die Königin Luise in 50 Bildern für Jung und Alt. Es handelte sich um ein in großer Auflage gedrucktes Massenprodukt, bei dem die neuesten Drucktechniken angewendet wurden. Schauen wir mal genauer auf das obige Bild mit dem Raster. Als Vorlage diente ursprünglich wohl ein kolorierter Stich. Die Farben wurden aber nicht von der Vorlage separiert, denn so hätten die schwarzen Linien auf den Farbseparationen miterscheinen müssen. Die eigentliche Druckvorlage bestand wohl aus dem unkolorierten Originalstich mit den schwarzen Linien, plus separaten Blättern, die die Farben Rot, Blau und Gelb trugen. Nur die Farbblätter wurden bei der Druckplattenherstellung gerastert, das Linienstichblatt nicht. Man erkennt dementsprechend ein rotes, blaues und ein gelbes Raster. Offenbar war die subtraktive Farbmischung noch kein Thema. Die schwarze Druckplatte, die das Strichbild trug (Konturenplatte), war offensichtlich nicht gerastert. Für unsere Arbeit bedeutet dies, dass das schwarz-weiße Strichbild nicht der Beschränkung des oben zitierten Nyquist-Shannon-Abtasttheorems unterliegt! Dessen Spektrum ist demnach größer als jenes der gerasterten Farbflächen.
Es ist also angebracht, das Schwarz-Weiß-Konturen-Bild und das Farbbild getrennt zu behandeln. Wir haben daher die schwarzen Striche aus dem Bild herausextrahiert, und nur das reine Farbbild gemäss obigen Arbeitsschritten entrastert. Am Schluss wurde das Strichbild wieder mit dem entrasteten Farbbild vereinigt. So entstand dann, was als Ausschnitt im unteren Detailbild dargestellt ist. Das so zusammengestellte Bild diente dann als Druckvorlage für das Buch für die Maximilian-Gesellschaft.
Bemerkungen:
- Die schwarzen Linien im entrasteten Detailbild weisen sichtbare "Treppchen" auf. Diese sind kein Artefakt der Entrastung. Die "Treppchen" entstanden durch die Schwellenwertbildung, die im Lauf der Linienextraktion durchgeführt werden musste. Das den Linien benachbarte Farbraster hat dadurch die Linien "anknabbern" können.
- Die Beziehung zwischen einem Bild und seinem Spektrum kann wie hier oben in einem rein formalen Sinn (lineare Algebra) aufgefasst werden. In einer dazu unabhängigen Weise kann ein Bild als eine Lichtverteilung betrachtet werden, die durch ein optisches System modifiziert wurde. Dann resultiert die genannte Beziehung als physikalisches Phänomen aus den Eigenschaften der Beugung von Lichtwellen (Fraunhofer-Näherung) und wurde Ende der 1960-er Jahre für mögliche Anwendungen ausgiebig untersucht. Hier zwei Standartwerke dazu:
-- P.M. Duffieux, L'intégrale de Fourier et ses applications à l'optique (2. ed), Masson, Paris 1970
-- J. W. Goodman, Introduction to Fourier Optics, McGraw-Hill, San Francisco 1968 - Bildet man eine gerasterte Vorlage mit einer Digitalkamera ab, oder scannt man eine gerasterte Vorlage, so entstehen Moiré-Muster genau dann, wenn die Frequenz des abgebildeten Rasters auf dem Kamerasensor höher als die halbe Pixelfrequenz des Sensors in der Kamera, bzw. Scanners ist. Dieser Moiré-Effekt wird Aliasing genannt. Abhilfe schafft bei der Kameraabbildung die Vergrößerung des Bildes, das in Teilbildern unterteilt, dann zusammengestitched wird. Beim Scannen wählt man eine höhere Scanauflösung.