Franco Laeri
Wie ich es sehe - The Way I See



Reprofotografie alter Bucheinbände und -illustrationen

2018 erzählte mir mein alter Freund Walter Wilkes, der an der TU-Darmstadt Typografie unterrichtete, von seinem Projekt über die Buchkultur im neunzehnten Jahrhundert. Er bearbeitete die typografischen Aspekte und Eva–Maria Hanebutt-Benz die Einbandgestaltung und der Illustration. Die Publikation sollte bebildert werden und sie suchten jemanden, der die Repros anfertigt. Ich versprach, diesen Part zu übernehmen. Das Buch ist Ende 2019 bei der Maximilian-Gesellschaft erschienen. Für diese Publikation habe ich ca. 150 Abbildungen von Einbänden und mindestens ebenso viele Abbildungen von Grafiken angefertigt.


Erste Herausforderung - Freistellen der Einbände

Die meisten Einbände waren teils in Leder, teils in Kaliko oder Kaliko imitierendem, strukturiertem Papier gebunden. Außerdem trugen die Meisten eingeprägte Golddekorationen. Ich wollte diese Materialien in der Abbildung lebendig, aber nüchtern zur Darstellung bringen. Das heißt die Goldprägung musste über die ganze Fläche homogen als golden erfahrbar sein, und den Einband wollte ich schattenfrei im Bild haben.

Eine kurze Überlegung zeigt, dass mit einer konventionellen Studiobeleuchtung nicht beides gleichzeitig erreicht werden kann. Die Materialoberflächen durch geeignete Beleuchtung herausarbeiten ist möglich. Die Schatten des Buchkörpers könnten dann nachträglich durch Freistellen in Photoshop eliminiert werden. Letzteres klingt simpel. Aber die Einbände waren teils fast 200 Jahre alt und durch den Gebrauch an den Kanten beschädigt. Zum Beispiel fransten feine Fäden, wie Haare, aus den Kanten heraus oder die Kante hatte feinste Eindellungen, an denen das Bindematerial gut erkennbar wurde, etc. Diese feinsten Details im Freistellen zu bewahren kostet ungemein viel Zeit. Angesichts der 150 Einbände beschloss ich, das Problem auf eine andere Weise zu lösen.

Wenn das Buch auf einem Untergrund steht, der heller ist als die hellste Stelle im Gegenstand, so können durch geeignete Belichtung die Schatten zum Verschwinden gebracht werden – Freistellen durch Untergrundbeleuchtung schon bei der Aufnahme. Dazu habe ich mir einen Leuchtkasten gezimmert, der ähnlich wie bei einer Ulbrichtkugel, den aufzunehmenden Bucheinband von unten mit kontrollierbarem, vollständig diffusem, weißem Licht der gleichen Farbtemperatur wie das Beleuchtungslicht, beleuchtet.

Skizze Leuchtkasten
IMG_1863.JPG (1.93MB)
Skizze Leuchtkasten
IMG_1863.JPG (1.93MB)


Rezept Ulbrichtkugelfarbe
KYMN4770.JPG (877.18KB)
Rezept Ulbrichtkugelfarbe
KYMN4770.JPG (877.18KB)


Habe vergessen zu erwähnen: Als Beleuchtung setze ich Amateurblitzgeräte ein, die ich teils per Funk, teils mit Fotozellen synchronisiere. Weil deren Lichtaustrittsfläche nur einige Zentimeter groß ist, ist es zwar etwas schwieriger die Goldprägungen homogen abzubilden, aber dafür modelliert das Licht die Texturen des Einbandmaterials schöner heraus.

 

Zweite Herausforderung – Aufschlagen des Buches verboten, trotzdem Illustration reproduzieren.

Alte Bucheinbände brechen auf, wenn sie aufgeschlagen werden. Also müssen die Repros von Buchseiten bei fast geschlossenem Buch angefertigt werden. Dafür wurde der sogenannte Wolfenbütteler Buchspiegel erfunden. Mit dieser Vorrichtung muss das Buch nur 45° geöffnet werden. Da ich keinen Zugang zu  einer solchen Vorrichtung hatte beschloss ich, mir selbst eine zu bauen, und begann zu skizzieren. Sofort war klar, dass an den Oberflächen des Anpressglases Geisterbilder entstehen müssen, die Glasseiten also entspiegelt werden müssen. Um die Geisterbilder beim Umlenkspiegel zu vermeiden, müsste dieser als Oberflächenspiegel ausgebildet werden. Diese Gläser hätten ein Format von 300 mm x 600 mm, was Kosten von einigen tausend Euro und etliche Wochen Lieferzeit bedeutet. Projekt Ende?

Die Skizze zeigte mir auch, dass die Kamera bei der Wolfenbütteler Konstruktion aus schrägem Winkel in die Vorrichtung fotografieren muss. Das passte mir absolut nicht, denn dazu hätte ich mir auch eine spezielle, schräg laufende Kameraführung bauen müssen. Ich wollte bei meinem senkrechten, guten, alten Linhof-Reprostand bleiben.

Anhand der Skizze rechnete ich kurz: Wenn das Buch nur ein wenig mehr aufgeschlagen werden kann, nämlich 60°, so liegt das virtuelle, gespiegelte Bild parallel zum Boden, und ich könnte mit dem Linhof-Stand von oben fotografieren. Das Beste aber wurde mir sofort bewusst: Der Strahlengang Lichtquelle-Buch-Kamera trifft nun die Anpress-Glasplatte und den Umlenkspiegel fast genau im Brewster-Winkel (hier anschaulich beschrieben)! Somit sind die störenden Reflexe vollständig polarisiert und lassen sich durch ein Polarisationsfilter vor dem Aufnahmeobjektiv unterdrücken.

Das heißt also, ich kann den Spiegelkeil mit normalem Fenster- und Spiegelglas realisieren, was die Kosten massiv reduziert und auch die Lieferzeit schrumpft auf einen Tag bei meinem netten Glasgeschäft in der Innenstadt. Ich muss also nur ein Polfilter vor das Objektiv schrauben und los gehts (linear oder zirkular polarisierendes Filter ist egal; es muss aber ein gutes sein! Ich habe einige von Hoya und Nikon im Fundus).  Die Glashalterungen baute ich mir aus 16mm-MDF Platten und zwei Gewindestäben. Alle Glaskanten sollten mit Farbe geschwärzt werden.


Wenn die Beleuchtungsrichtung genau justiert wird, gelingen so spiegelungsfreie Reproduktionen einer Seite bis zu 2-3 mm Entfernung zum Buchfalz, also praktisch vollständig; vgl. Testbild nebenan. Naturgemäß ist die Rohreproduktion seitenverkehrt, was sich aber in Photoshop mit einem Klick korrigieren läßt.






Dritte Herausforderung - Druckraster eliminieren

Die Darstellung von Bildern war seit Beginn des Buchdrucks ein großes Thema. Im neunzehnten Jahrhundert suchte man nach Verfahren, die sich in den damals schon sehr fortgeschrittenen Druckprozess integrieren ließen. Das große Problem war die Darstellung von Halbtönen. Die ersten Rasterverfahren wurden entwickelt. Natürlich fanden sich in diesem Projekt unter den Illustrationen etliche mit gerasterten Bildern. Die Reproduktion eines gerasterten Bildes führt im Druck, in dem das Bild ein zweites mal gerastert wird, unweigerlich zu Moiré-Strukturen. Das durfte natürlich nicht passieren.
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